Nordland I – in memoriam Milla
Ende August 2016 ist es endlich soweit. Jahrelang haben wir davon geträumt, mit dem Wohnmobil durch Skandinavien bis hoch zum Nordkap zu fahren, die verfügbaren Ferienwochen aber waren dafür immer zu wenig. Unser MAN ist mit neuen Polster-Überzügen und gegen allfällige Kälte mit Isolationsmatten für die Front- und Seitenfenster ausgerüstet. Bei heissen 34°C geht’s via Basel auf die für nicht-kommerzielle LkWs wie unser Wohnmobil MAUT-freie deutsche Autobahn. Schon am nächsten Tag durchqueren wir Dänemark und erreichen über die Oresund-Brücke (€ 182.-) Schweden. Mit Blick auf letztere verbringen wir den ersten Abend am Meer mit einem feurigen Abendrot. Die typischen Holzhäuser in falunrot mit weissen Fensterrahmen und die Vorsicht-Elch-Crossing Schilder sind von nun an unsere Begleiter. Seen und einsame Flecken, an denen wild campen erlaubt ist – möglich macht das das sogenannte „Jedermannsrecht“ – gibt es zu Hauf. Wir fahren vorbei an Windrad-Parks und Hinweisschildern zu Skigebieten (hier in der Ebene!) und stoppen bei den ca. 3000 Jahre alten Felsritzungen von Tanum, die, als sie geschaffen wurden, am Meeresufer lagen, heute jedoch aufgrund der skandinavischen Landhebung sich ca. 30 m üM befinden. Bald schon überqueren wir die Grenze nach Norwegen und besuchen dort die 1994 für Olympia aufgestellte Skisprungschanze von Lillehammer, die heute allerdings tief im Nebel verborgen liegt. Danach besichtigen wir eine der grössten noch erhaltenen Stabkirchen … und gleich noch eine zweite. Das sind hölzerne Kirchen, meist aus dem 12. oder 13. Jahrhundert. Der Stabbau ist ein Tragwerk aus senkrecht stehenden Masten (Stäben), auf denen die gesamte Dachkonstruktion ruht. Darum herum gruppieren sich die Gräber und drinnen kann eine schöne alte Orgel besichtigt werden, neben der uns männliche Engel ein Hohelied blasen. Auf einer fast baumlosen Hochebene bei Dombras mit farbigen Gräsern und Moosen um Flechten-verzierte Felsbrocken, neben denen einige weisse Stämme von niedrig gewachsene Birken gegen die dunklen Wolken leuchten, wählen wir unseren Nachtplatz. Noch nie habe ich vom WoMo-Küchenfenster aus einen schöneren Ausblick auf eine ruhige, einsame Natur-Idylle mit farbigem niedrigwachsendem Gras und z.T. noch schneebeckten Bergriesen im Hintergrund genossen. In der mittelnorwegischen 200‘000 EW Stadt Trondheim besichtigen wir den Kanalhafen mit den typischen, restaurierten, sehenswerten 6-stöckigen Lagerhäusern, die sich im Wasser spiegeln sowie den Stiftsgarden, das grösste Holzpalais Skandinaviens, das heute die offizielle Residenz des Königs in Trondheim ist. Sei es per Flugzeug, Bahn, Schiff oder Strasse, Trondheim ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, von dem aus wir in Richtung Narvik weiterfahren. Eine geteerte, angesichts der riesigen Lastzüge die hier unterwegs sind nicht allzu breite Strasse führt durch endlose Waldgebiete und nur hie und da sind Siedlungen zu sehen. In Namsskogan, einer norwegischen Gemeinde mit einer Bevölkerungsdichte von 1 Einwohner je km2, schaut Milla interessiert den Enten zu, während Oxi entlang einem breitem Fluss mit Wasserfall dem Wanderweg spaziert und dabei einigen wenigen Anglern und Pilzsuchern begegnet. Es ist herrlich hier, ein Picknick-Platz comme il faut: frische Luft und ausser dem Gurgeln des Wassers einfach nur Ruhe. Am Nachmittag erreichen wir dann schon Nord-Norge, den nördlichsten Landesteil Norwegens, der etwa ein Drittel des Landes umfasst. Diese Region ist bekannt wegen ihrer Mitternachtssonne, den Nordlichtern und den Lofoten. In Mo i Rana, einer Stadt dieses Landesteils, wird unser Wohnmobil tüchtig runtergewaschen, es giesst am Abend und in der Nacht wie aus Kübeln. Auch am nächsten Morgen hängen die Wolken noch tief und es verspricht ein eher trüber, kühler Tag (10°C) zu werden, dieser 1. September 2016, an dem wir den Arctic Circle auf 66° 33′ 55″ nördlicher Breite erreichen. Auf einer kargen Hochebene, wo wir Rentieren begegnen, treffen wir unzählige sogenannte Steinmännli aber nur wenige lebendige Besucher. Es sind die letzten Tage, an denen das visitor center noch geöffnet hat; über die dunkle Winterzeit ist es geschlossen. Hier sind wir nur noch 565 km vom Nordkap entfernt. Zuerst aber geht’s in Richtung Lofoten und Versteralen, wozu wir mit den regelmässig ablegenden, meist mit LkWs, PWs und Wohnmobilen gut besetzten Fähren, ein paar Überfahrten tätigten. Vesteralen ist eine nordöstlich der Lofoten gelegene Inselgruppe mit einer von Schären gesäumten, jetzt goldgelben Küste, teils sandigen, einladenden Stränden, grünen-gelben Wiesen, einsamen Gebirgstäler, kleinen Hochebenen und weissen und roten Holzhütten. Selten habe ich eine solche landschaftliche Abwechslung erlebt, so viel Harmonie und so viele Kontraste gleichermassen. Unsere Hunde sind geniale Reisepartner. Während der Fahrt schlafen sie meist, nur manchmal – etwa wenn Nils oder ich rufen „da, Rentiere“ – schauen sie durch die Frontscheibe und wollen die nordischen grossen Hirsche oder die noch grösseren Elche auch sehen. Sobald wir dann stehen, wollen Milla und Oxi mit raus und die Umgebung erschnüffeln und markieren. Am äussersten Zipfel auf dem Insel-Archipel, auf der Insel Langoya, liegt ein kleines Fischerdorf. Hier in Hovden endet die Strasse 915 und das weite Nordmeer beginnt. Anstatt uns auf die Camping-Wiese mitten im Dorf niederzulassen, fahren wir etwas zurück und bleiben an einer einsamen Bucht stehen. In der Nacht werden wir von Milla geweckt – wir denken sie muss wohl mal – und als Nils mit ihr nach draussen geht, sieht er das Polarlicht über uns! Milla hat uns kurz vor der Geisterstunde auf diese unglaublichen Lichtspiele am Himmel aufmerksam gemacht, die durch überschüssige Energie der Sonne, die auf das Magnetfeld der Erde trifft, entstehen. Da es hier so weit im Norden nur ganz wenig Zivilisations-Lichter gibt, sind diese farbigen Schleier am dunklen Himmel gut auszumachen. ‚Unsere‘ aurora borealis zeigt sich grün-gelb, und bewegt sich mal ähnlich wie ein Vorhang, mal als Bogen oder schlängelnde Schlange über uns. Sicherlich während einer Viertelstunde sind diese magischen Phänomene zu beobachten und wir können uns gut vorstellen, dass in früheren Jahrhunderten dieses faszinierende Nordlicht Ängste ausgelöst hat und Göttern und Geistern zugeschrieben wurde. Der nächste Morgen zeigt sich mit strahlend hell-blauem Himmel und eine Nuance dunkler blauem, ruhigen Meer. Wir fahren über die Brückenverbindung zurück aufs Festland und erreichen, dem langgezogenen Fjord entlang, der von einem lediglich schmalen Uferzonen-Streifen gesäumt wird, der direkt in eine gebirgige Gegend hochführt, die Siedlung Gratangsbotn. Unmittelbar am Ende des Fjords, neben dem Mahnmal, das an die Invasion durch deutsche Truppen erinnert und dem ‚Nordnorsk Batmuseum‘, das eine einzigartige Sammlung von Nordlandbooten zeigt, campen wir über Nacht. Unsere liebe Milla hat nun schon den 2. Tag keine Lust auf Essen; das ist aussergewöhnlich und macht uns Sorgen. Wir konsultieren das Internet und finden in der ca. 1 Fahrtstunde südlich gelegenen Stadt Narvik die nächsten Tierarzt-Adressen. Typischerweise ist Sonntag und auch hier vieles geschlossen. Über eine Notrufnummer erreichen wir eine Ärztin der Dyreklinikk und erhalten anfangs Nachmittag einen Termin. Sie untersucht Milla gründlich und eröffnet uns dann die schreckliche Nachricht, wonach die bald 13-jährige Hundedame schwer krank sei und nur noch ein paar Tage zu leben habe. Bis auf die Appetitlosigkeit hat Milla uns keinerlei Anhaltspunkte gegeben, dass es ihr schlecht gehe. Sie war so interessiert und fröhlich wie immer, nur vielleicht etwas müder. Wir entschieden uns, unser Ziel Nordkap fallen zu lassen und schnellstmöglich heimzufahren. Gleichentags machten wir uns auf den Weg und – nur unterbrochen durch Bisi- und Schlafhalte – erreichten wir bereits 4 Tage nach dem 1. Arctic Circle Besuch wieder den Polarkreis. Das Wetter – entsprechend unserem Gemütszustand – verschlechtert sich wieder und Regen begleitet uns die nächsten Tage. Um Milla bei Kräften zu halten müssen wir ihr nun einen Brei zubereiten und ihr diesen einflössen, was sie geduldig zulässt, obwohl es sie – ihrem Gesichtsausdruck nach – davor ekelt. Im Schnellzugstempo geht‘s südwärts und bereits am 9.9. überqueren wir wieder die mautpflichtige Oresundbrücke von Malmö nach Dänemark. Hätte uns nicht in Hamburg ein riesiger Stau (Bauarbeiten, Autobahn gesperrt, Umfahrung durch die Stadt) stundenlang aufgehalten, wären wir nach 5 Tagen daheim gewesen. So erreichen wir nach 6 Wochen wieder Milla’s geliebten Garten, am 11.9.16 bei 28°C. Hier konnte sie loslassen und signalisierte uns 10 Stunden später, dass es nun Zeit sei.
Milla kam mit 2 ½ Jahren zu uns und hat uns in den 10 gemeinsamen Jahren sehr viel Freude gemacht und uns für manches Detail die Augen geöffnet. Sie war immer freudig bei Ausflügen dabei, liebte fremde Kontakte (Mensch + Tier) und hat andere Hunde in ihrem Heim stets willkommen geheissen. Wir sind unendlich traurig, sie nicht mehr bei uns haben zu können, gleichzeitig aber dankbar, dass wir einen Teil des Weges mit ihr gehen durften.
Es ist eine der Grausamkeiten dieser Welt, dass die Lebensdauer des Hundes um so vieles kürzer ist als die des Menschen. (Konrad Lorenz)