Oriu’ sind Gebäude auf Korsika, die unter natürlichen Felsvorsprüngen oder einer Aushöhlung erbaut wurden. Es gibt mehrere Orii, die im Herzen von Korsika – häufig von der Macchia überwuchert und kaum zugänglich – versteckt sind. Sie wurden im 16. und 17. Jahrhundert von Hirten erbaut. Diese benötigten im Sommer, wenn sie mit ihren Herden von der Küste in die Hügel und Berge zogen, eine saisonale Unterkunft. Felsvorsprünge wurden gerne als Grundlage für diese einfache ‘Bergerie’ genutzt. Heute gehören diese kleinen charmanten Zufluchtsorte zu den schönsten Naturattraktionen Korsikas.

Es wird gemunkelt, der Oriu di Canni im Süden der Insel sei wohl der spektakulärste und schönste Oriu von ganz Korsika. Nach einem morgendlichen Strandspaziergang mit herrlich orangem Sonnenaufgang, wollen wir heute zu diesen Felsen fahren und den Oriu di Canni mit eigenen Augen sehen. Zwar dauert die Anfahrt fast so lange wie nachher der ganze Zustieg zu diesem speziellen ‘Haus’, aber es lohnt sich beides. Es geht von der Küste weg, vorbei an einem gewaltig grossen Eukalyptusbaum mit ausladender Krone ins Landesinnere, vorbei an Weiden, Weinbergen, einzelnen Häusern und kleinen Dörfern, die schön im Grünen liegen. Einem Wegweiser mit einem unaussprechlichen Namen folgend, gelangt man zum Parkplatz mit Hinweistafel. Vis-a-vis steht ein blühendes Prachtsexemplar von Baum und unweit davon einige Grabmonumente.

Zu Fuss geht es dann über einen kurzen steilen Anstieg durch die Häuser des Weilers, anschliessend über einen schmalen Weg hoch in die Felsen bis zu einem grösseren Stein. Absolut imposant ragt schon bald ein felsiger Spitzgiebel über unseren Köpfen auf. Eine märchenhaft anmutende, riesige spitze Kappe, darunter eine halbrunde Steinfassade mit Tür- und Fenster-Öffnungen präsentiert sich vor blauem Himmel. Fast ehrfurchtsvoll treten wir durch den Durchgang ins Innere dieses Rückzugsorts. Steinige Sitzgelegenheiten, eine Feuerstelle und eine offenbar von Wind und Wetter ‘geschliffene’ felsige Dach-Unterkonstruktion erwarten uns im kühlen, eher dämmrigen Raum. Wieder draussen blendet uns bei der näheren ‘Untersuchung’ der Aussenfassade die Sonne. Hier gibt es eine Art Felsplateau, das sich hervorragend eignet, Pause zu machen, sich zu setzen, sich von der Atmosphäre hier oben und dem Weitblick hinunter ins Tal, auf die gegenüberliegende Talseite und das Panorama in die hohen Berge ‘einlullen’ zu lassen. Die Hunde lassen sich auf dem sonnengewärmten Felsen nieder und geniessen mit uns die Aussicht. Nur der Wind, der sich in den Bäumen und um die Felsen fächert, ist zu hören, sonst herrscht geradezu andächtige Stille.